Saint-Gall, Paris

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23. Mai 2022
Heute kommt mein Beitrag aus dem 10. Arrondissement. Aus einem Viertel unterhalb dem Gare de l'Est. Hier ist Paris sehr lebhaft und weit weg von aufpoliert. Dafür aber mit guten Läden, Restaurants, Cafés und Bars ausgestattet. Hier trifft man auf ein vorwiegend jüngeres, multikulturelles Publikum, welches das schräge und laute Nachtleben liebt. Beim Entdecken all dieser bunt gemischten sowie spannenden Ecken und Strassen ist mir in der «Passage des Petites Ecuries» eine beeindruckende künstlerische Arbeit aufgefallen. Diese enge Passage ist auf einer Seite mit einer Plakatreihe zugeklebt. Alle Poster wurden von den ukrainischen Illustrator*innen des Pictoric-Kollektivs gestaltet. Sie benutzen diese Form der Kunst als eine Waffe, in der sich ihre Ängste, Gefühle und Schmerzen widerspiegeln. Jedes Poster ist ein Statement, das von Millionen von Ukrainer*innen unterstützt wird. Hier musste ich innehalten und verweilen. Meine Gedanken und Empfindungen gehören den unendlich vielen Opfern auf beiden Seiten dieses Krieges, für den es nicht eine Begründung geben darf. Ich überlasse euch den starken Illustrationen und Inhalten in der folgenden Bildergalerie. Die Auseinandersetzung damit beendet diesen Krieg zwar nicht, bleibt aber dadurch im Bewusstsein von uns.
Centquatre#104 – un lieu infini d'art, de culture et d'innovation
13. Mai 2022
Auf meinen endlosen «Wanderungen» durch die Pariser Quartiere bin ich im 19. Arrondissement auf das aktuelle Kultur-Highlight «Le Centquatre» gestossen. Dessen frühere Funktion als Depot des zentralen Pariser Beerdigungsdienstes passte recht gut zum Charakter der ehemals unschönen Industriegegend. 1874 entstand im Stil der damaligen Industriearchitektur aus Backstein, Eisen und Glas ein grosser Leichenwagen-Bahnhof mit Platz für 80 Kutschen und Ställen für 300 Pferde. Bis zu 1400 Menschen arbeiteten hier. Die Privatisierung dieser Dienstleistung führte 1997 zur Schliessung der Einrichtung. Seit 2008 ist das «Centquatre» – benannt nach der Hausnummer 104 – ein Ort für künstlerische Aktivitäten jeder Art. Von Hip-Hop über Kunstevents bis zu Theateraufführungen und Konzerten. Am Eindrücklichsten für mich ist, dass jede und jeder die bahnhofshallenartigen Räume frei und kostenlos bespielen darf. Sei es zum Tanzen, Jonglieren, Theaterproben, Filmen, Malen oder ganz einfach zum Pizzaessen. So einen unendlichen und freien Ort der Kunst, Kultur und Innovation habe ich noch nirgends angetroffen. Ich bin von meinem Besuch überwältigt. Zum Angebot gehören verschiedene Foodtrucks, eine wunderbar sortierte Buchhandlung und das loftartige Restaurant Grand Central. Mein Must-Go für den nächsten Parisbesuch.
Paris en 2 heures dans une Citroën 2CV
5. Mai 2022
Nicht alle haben die Möglichkeit, für das Entdecken von Paris ganze drei Monate Zeit zu haben. Eine überraschende Alternative dazu habe ich letzte Woche bei meiner gemütlichen Tour durch das Quartier Latin am linken Seine-Ufer beobachtet. Hier sind mir zwei junge Damen beim Sightseeing-Sprint mit einem blauen Citroën 2CV rund um den Place du Panthéon aufgefallen. Zuerst ist mir der blaue Retro-Deux chevaux an der Ecke Rue Soufflot/Rue St-Jacques ins Auge gestochen. Aus dem Fahrzeug sind gleichzeitig drei Personen herausgesprungen: der Fahrer und die beiden Touristinnen. Die Frauen haben sich vor dem Citroën 2CV in Pose geworfen. Der junge, attraktive Fahrer wurde zum Handy-Fotografen. Das fertige Bild muss in etwa so ausgesehen haben: im Vordergrund die zwei hübschen Frauen mit dem klassischen 2CV und im Hintergrund das noch geschichtsträchtigere Panthéon. Es gab auch noch Bilder mit nur Auto und Panthéon und mit Fahrer, Auto und Panthéon und auch noch mit nur Panthéon. Das ganze Prozedere dauerte wohl knapp zwei Minuten. Dann wieder rein in das kleine Gefährt und weiter gings. Da gibt es ja noch den Eiffelturm, die Opéra, die Champs-Elysées, Notre-Dame, Montmartre et, et, et.
Aber was, wenn der Motor einfach nicht mehr anspringen will? Vielleicht ist das ja auch ein eingespielter Akt der romantischen Retro-Tour. Dank der Hilfe aller Beteiligten konnte das Auto wieder in Fahrt gebracht werden. Bon voyage et bonne continuation à Paris. Gleich eine Strasse weiter in der Rue des Fossés Saint Jacques die nächste und letzte Begegnung mit diesen Dreien. Der 2CV hält vor einem fotogenen Pariser Bistro. Eine der beiden stürmt zu einem Tischchen, posiert auf einem Stuhl, die andere fotografiert. Bild ist Instagramable. Ich für mich habe mir dann im Bistro in aller Ruhe einen Café gegönnt und die Bilder dieser Aktion mit einem Schmunzeln angeschaut.
«Paris gehört mir.»
26. April 2022
Diese Aussage ist von Hemingway, der zwischen 1921 und 1926 in Paris gelebt hat. In seinem Buch «Paris, ein Fest fürs Leben» beschreibt er das Paris der Zwanzigerjahre lust- und eindrucksvoll. Für Paris-Liebhaber*innen sehr lesenswert. Für mich ist ein wunderbares Gefühl, wenn ich mit der Arbeit fertig bin, durch Paris zu streifen. Paris gehört dann mir. Heute Batignolles im Nordwesten von Paris, Luigi Kröner (mon eintraîneur de boxe) und das Restaurant Gare au Gorille.
Sollte bald ein Parisbesuch anstehen, kann ich Batignolles im 17. Arrondissement empfehlen. Raus aus der hektischen Stadt. Das dörfliche Ambiente, in dessen Mitte die Kirche Ste-Marie des Batignolles steht, wird durch zahlreiche Strassen mit trendigen Restaurants und Läden ergänzt. Besonders lohnenswert sind die Rue Legendre, die Rue des Dames und die Rue de Lévis. Und dann gibt es zwei wunderbare Parkanlagen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der Square des Batignolles ist ein klassischer Stadtpark mit vielen Holzbänken, einem Ententeich und vier riesigen Platanen. Ein Ort für die Seele. Am Zaun, der die Parkanlage umschliesst, kann man zudem die Fotoarbeit eines lokalen Künstlers geniessen. Diagonal gegenüber liegt der Parc Clichy-Batignolles - Martin Luther King mit riesigen Grünanlagen, Spielplätzen, Skate-Parks und Joggingwegen. Hier ist das Bild urban: Der Park gibt den Blick frei zu architektonisch imposanten Wohn- und Büroblocks.
Durch meinen Sohn Levin habe ich den Kontakt zu einem französischen Boxtrainer erhalten. Wöchentlich habe ich bei Luigi zuhause – in Batignolles – ein intensives und lehrreiches Boxtraining. Er legt grossen Wert auf die Beinarbeit und die Technik, was von mir wiederum viel Koordinatives verlangt. Luigi ist Privattrainer und Schauspieler und sieht auch noch gut aus, wie man auf seinem Instagramprofil (@luigikroner) gut erkennen kann.
Nach diesem abwechslungsreichen Tag bin ich im Restaurant Gare au Gorille auch noch kulinarisch verwöhnt worden: mit Prosciuttino zur Vorspeise, einem geräucherten Lachs auf Kohlraben-Tzatziki, mit frittierten Brokkoli und Zucchetti. Zum Hauptgang folgte ein himmlisches Risotto mit Taleggio-Käse, Radicchio, Haselnuss und Pflaume. Nicht zu vergessen das wunderbare dunkle Brot und der feine Pinot. Wie anfangs gesagt: Paris gehört mir.
L'art à la gare qui m'a touché
11. April 2022
Meine allererste Aufnahme bei meiner Ankunft in Paris vor einer Woche zeigt ein Grossplakat beim Eingang zum Gare du Nord. Ich hatte noch den Koffer, die Reisetasche und den Rucksack bei mir. Und trotzdem musste ich an Ort und Stelle – umgeben von einer emsigen Menschenmenge – meine Kamera hervorholen und dieses Bild machen. Angesprochen haben mich die beiden starken Porträts und natürlich die mir gängige Bezeichnung PANTONE. Eine Woche später – ich gehe täglich am Gare du Nord vorbei (er liegt in der unmittelbaren Nähe meiner Pariser Wohnung) – haben die beiden Gesichter noch nichts an ihrer Anziehungskraft auf mich verloren. In meinem zweiten Saint-Gall, Paris-Beitrag möchte ich euch die Geschichte dahinter erzählen.
Es handelt sich beim Projekt um eine fotografische Arbeit der brasilianischen Künstlerin Angélica Dass, die im Innern des Bahnhofsgebäudes mit Hunderten weiterer Porträts alle Reisenden und mich zu einer Reflexion über die Hautfarbe anhält. Die Arbeit versucht die «wahren» Farben der Menschheit zu dokumentieren, anstatt sich an die falschen Etiketten «weiss», «rot», «schwarz» und «gelb» zu halten, die mit der Rasse in Verbindung gebracht werden. Die Hintergrundfarbe jedes Porträts wurde von der Nasenspitze des oder der Porträtierten entnommen und auf die Pantone-Farbpalette abgestimmt, die in ihrer Neutralität die mit der Rassenfrage verbundenen Stereotypen in Frage stellt. Das Projekt zeigt, was den Menschen ausmacht: seine Einzigartigkeit und damit seine Vielfalt. Die Hautfarbe ist keine Identitätskarte. Es muss jedem klar sein, dass eine Person nicht diskriminiert werden darf, nur weil sie eine andere Hautfarbe hat.
Diese Arbeit am Ort des Ankommens und Verreisens hat mich sehr berührt und angehalten, stehen zu bleiben.
Weitere Links zum Thema
- Projekt und Künstlerin: angelicadass.com/photography/humanae/
- Brand-Dokumentation Pantone: magazine-b.com/en/pantone/
- Concept Store «Bonjour Jacob»: bonjourjacob.com
Petit-déjeuner du dimanche «chez moi seul»
04. April 2022
Meine Frau Nicole und ich haben unser Sonntagmorgen-Ritual: Sport, Frühstücken, NZZ lesen. Also, mit Sport habe ich auch angefangen. Das kann ich ja alleine. Beim Frühstück musste ich mich auf eine neue Situation einstellen. Anstelle von Nicole sass mir George Clooney gegenüber. Er war ungewöhnlich wortkarg. Er servierte mir auch keinen Nespresso-Kaffee (dafür gab es einen richtigen Kolbenkaffee). Mein sprechendes, oder besser gesagt singendes und knisterndes Gegenüber war aus Vinyl und drehte sich auf einem alten Vintage-Tisch-Plattenspieler. Am ersten Sonntag in Paris habe ich mir das Album Lumière Noire von Louise Verneuil zu baguette, fromage de chèvre, oeuf à la coque, muesli angehört. Nicole und ich kennen Louise aus dem Showroom von Isabel Marant. Sie verkörpert die typische Pariserin. Und ihre Musik und Lieder genauso. Gerne möchte ich allen diesen Geheimtipp näherbringen. Wie man hört: Mit den richtigen Zutaten kann man sich so ein perfektes französisches petit-déjeuner zubereiten. Auch wenn ich Nicole immer am allerliebsten bei mir habe. Nicole, tu me manques.
